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„Eule“ als Bindeglied zwischen „U 20“ und „Ü 55“

Büren. (te) Freitagnachmittags hat Oma keine Zeit zum Babysitten. Dann drückt sie nämlich die Schulbank. Im Ludwig-Erhard-Berufskolleg sitzt sie, zum ersten Mal in ihrem Leben, am Computer und lernt, wie man im Textverarbeitungsprogramm „Word“ einen Brief schreibt und den Text formgerecht gestaltet. Oma ist nicht die einzige Seniorin im Klassenraum 213 in der Bürener Schule: Mit ihr gemeinsam lernen 45 Frauen und Männer jenseits der 55, wie man mit dem Computer umgeht, im Internet surft und E-Mails versendet. Und zwar bei „Lehrern“, die ihre Enkel sein könnten: 25 Schülerinnen und Schüler des Berufskollegs investieren seit Anfang des Jahres ihren schulfreien Freitagnachmittag in verschiedene Kurse für ältere Semester. Computerkurse für Anfänger und Fortgeschrittene gehören ebenso dazu wie Englisch, Kreatives Schreiben, Gedächtnistraining oder - als einziger Kurs außerhalb der Schule – ein Zeichen- und Bastelkurs im Seniorenwohnpark. „Eule“ nennt sich das Projekt von jungen Leuten für ältere Menschen. „Eule“ steht dabei für „Erleben, Unterrichten, Lernen, Experimentieren“ und wird inzwischen an mehreren Schulen im ganzen Bundesgebiet durchgeführt.

Für Christof Gockel, einer der verantwortlichen Lehrer, ist „Eule“ einerseits ein Bindeglied zwischen der Generation „U 20“ (unter 20) und „Ü 55“ (über 55). Er betont: „Wir wollen kein Konkurrenzangebot zur Volkshochschule oder anderen Institutionen machen.“ „Eule“ habe vielmehr einen ganz anderen Ansatz: Es soll in lockerer, persönlicher Atmosphäre gelernt werden – eine Tasse Kaffee und nette Gespräche zwischen Jünger und Älter nicht ausgeschlossen. Die Ziele seien, so Gockel, Hemmschwellen und Kontaktängste zwischen den Generationen abzubauen, die jungen Leute mal in die Situation des „Lehrenden“ zu bringen und älteren Menschen die Möglichkeit zu geben, spielerisch und locker von und mit dem Nachwuchs zu lernen und den eigenen Horizont zu erweitern.

Dass das tatsächlich funktioniert, davon kann man sich vor Ort überzeugen. In den Kursräumen sitzen die älteren Semester und lauschen aufmerksam ihren jugendlichen Dozenten, die über Flattersatz und Bündigkeit, Suchmaschinen und E-Mail-Accounts referieren, von Platz zu Platz gehen, helfen, erklären und vorführen. In einem anderen Raum werden die „Schüler“ von ihren „Lehrern“ in die Grundlagen der englischen Sprache eingewiesen und können bereits nach kurzer Zeit kleine Sätze sprechen. Oder beim Gedächtnistraining, bei dem Rätsel gelöst und Gedichte gelernt werden. Ein ganz besonderen Anspruch hat der Kreativkurs im Seniorenwohnpark, für dem die Schüler in das Altenheim fahren und dort mit den Senioren basteln und zeichnen, denn viele der alten Menschen dort sind nicht mehr so aufnahmefähig wie die Teilnehmer der Kurse im Berufskolleg. Doch auch hier gilt: Das Lernen soll vor allem Spaß machen, ob auf der Schulbank oder im Seniorenheim.

Den Spaßfaktor hat auch Alexander Schulteis für sich erkannt. Der 20-jährige Kollegschüler ist einer der so genannten „Schüler-Lehrer“, der in den Computerkursen aktiv ist. „Es macht einfach total Spaß,“ sagt er und opfert dafür auch gerne seine Freizeit. Die Senioren seien sehr interessiert; einer habe sogar schon gefragt, ob er ihm beim Aufbau einer Homepage für die Kolpingsfamilie helfen könne. Über den eigentlichen Kurs hinaus reichen die Kontakte auch bei den anderen: Im „Eule-Café“ treffen sich „Lehrer“ und „Schüler“ nach dem Unterricht zu Kaffee, selbst gebackenen Waffeln und interessanten Gesprächen über Gott und die Welt, Alkoholmissbrauch, Partys, „damals“ und „heute“. „Das Ganze hat inzwischen eine richtige Eigendynamik entwickelt“, freut sich auch Thomas Powalka einer der begleitenden Lehrer, und verweist zum Beispiel auf die Fahrt zum Heinz Nixdorf Computermuseum in Paderborn, die die „Schülerlehrer“ für ihre Kursteilnehmer organisiert haben.

Jetzt hoffen alle Beteiligten, dass „Eule“ einen langen Atem hat, das heißt, dass das Projekt auch dauerhaft weitergeführt werden kann. Denn die Kollegschüler sind, anders als an allgemeinbildenden Schulen, nur zwei Jahre an der Schule, von denen mindestens ein Halbjahr wegen der Abschlussprüfungen für „Eule“ entfällt. Dehalb will das Organisationsteam um Ostern herum eine Bestandsaufnahme machen um zu klären, ob genug junge Leute im nächsten Schuljahr die Kurse weiterführen. Die Projektlehrer sind optimistisch, nicht zuletzt durch die Begeisterung, mit der die Schüler dabei sind. Auch der Caritas-Verband im Dekanat Büren unterstützt das Engagement der Schüler. Geschäftsführer Christian Bambeck ist optimistisch, dass sich auch im nächsten Schuljahr ausreichend „Schüler-Lehrer“ finden. Denn aus eigener Erfahrung weiß er, dass soziales Engagement bei der Auswahl von Bewerbern für Ausbildungsstellen gut ankommt. Bambeck: „Im Zweifelsfall kann das sogar das ausschlaggebende Kriterium sein.“

Quelle: Neue Regionale vom 29.02.2008

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